Mittwoch, 23. Mai 2012
Die Nacht beginnt Sonntagmorgen / Letzte Woche Berghain
Letzte Woche Berghain also.

Irgendwann im späten Nachmittag kommst du dann vom Klo, in das du dich an aus dem Dunkeln greifenden, zu schwitzenden Glatzköpfen ohne Oberteil gehörenden Armen und Händen vorbeigerobbt hast, und da wartet dann am Waschbecken eine Frau auf dich, Mitte 40, wie sie sagt, zerfurchtes Gesicht, tiefe Stimme, und fragt allen Ernstes, ob du ihr "eine Nase" abgeben kannst.

Eine Nase natürlich nicht, ich wühle in meiner Tasche und ziehe zum Glück das leere Tütchen heraus. Wer aber freigiebiger ist als Mutter Theresa, so wie ich in eben jenem Moment, geht dann natürlich an die Bar und wechselt einen Zehner, um dieser wildfremden Frau 5 Euro schenken zu können. Das ist der Anfang von einem Gramm.

Hier lohnt sich der Schwenk zurück, wie ist es denn wieder soweit gekommen, wo hat das angefangen? Es hat angefangen in meiner Wohnung mit dem Wecker um 4 Uhr nachts. Wodkafrühstück für mich, für meine Begleiterin ein Gin Tonic auf ex. Anziehen, ein unbelegter Toast, eine leere Club Mate Flasche gleichmäßig mit Wodka, Gin, RedBull und Sprite füllen, eine Zitronenscheibe zur Deko. Das ist unser Proviant, so reist man schnell.

Pünktlich um fünf passieren wir dann die Tür, noch etwas unterkühlt vom Warten in der Schlange. Also schnell in die Panorama Bar, fünf nach fünf, für mich Cuba Libre wie immer, für sie Wodka Lemon. Damit geht's aufs Klo, Fensterbank, 3 Wörter gewechselt, es ist zehn nach fünf, wir sind fündig geworden.

Das ist dann auch ein ganz befreiendes Gefühl, etwas Gespräch über Napoli und Capitano Schettino, noch einen Drink, und dann geht es tanzen. Man muss noch nicht mal was genommen haben und tanzt trotzdem wie alle anderen, bekommt Gänsehaut, unkontrolliertes Lächeln huscht über das Gesicht.

Es wird dann aber doch irgendwann Zeit, 9 Uhr nähert sich, dann spielt Marcel Dettmann, und da wollen wir natürlich wach sein. Also geht es aufs Klo und wir versuchen umständlich, harte Speed-Klumpen zu feinen Lines zu zerhacken. Pünktlich für Marcel Dettmann und bewaffnet mit Drinks stehen wir dann wieder unten im Berghain, doch Marcel lässt auf sich warten, oder der andere Dj checkt's einfach nicht. Das ist natürlich der reinste Tripkiller, erst um halb zehn beginnt dann Dettmann, zu dem Moment hätte ich mich gerne auf einen Gehstock gestützt.

Mir fehlt bei dem ganzen das Gefühl, also begeben wir uns gegen zehn wieder aufs Panorama Bar-Klo. Das neue Madonna Album hatte meine Begleiterin vorhin gewitzelt, und wir musste nur einen Buchstaben tauschen und alles wurde gut.

Das knallte nämlich dann auf einmal ganz gewaltig, da knirschten die Zähne lauter als der Beat, da viel man über nonexistente oder eben existierende Beine und Hindernisse, da tanzt man ganz losgelöst, da verschlang man Kaugummi und eigene Lippen und Wangenfleisch. Das muss wohl so gewesen sein, denn das war das was man nachher sehen konnte, an die Stunden selbst habe ich nur Flashback-hafte Erinnerungen.

Wie ging es weiter? Eine Sammlung von Stichpunkten: Tanzen, Trinken, Begleiterin mit Herzenfahne, nicht enden wollende Gespräche, Laberflash, Erdnüsse vor dem Haupteingang als pampige Masse, heruntergespült mit Wasser, wieder rein, noch abtanzen nicht nach Hause wollen, Angst vor dem Tag, ANGST VOR DEM ALLTAG.

Aber dann: Wir tanzen in der Panorama Bar, zum Runterkommen, doch da ist dann so ein überdrehter Typ unterwegs, der den Leuten vor sich auf die Schultern springt und denen dahinter auf die Füsse. Er versucht wahrscheinlich, mit den Händen unsichtbare Glühbirnen kaputtzuschlagen. Das nervt mich dann irgendwann so gewaltig, dass es keinen anderen Ausweg gibt: wir müssen gehen!

Wieder Stichpunkte: Bahn fahren, Glitzergesicht, McDonald's am Alex, Wohnung, Übelkeit, Würgen isn Leere, Begleiterin mit Big Mac Menü, etwas schlafen, aufstehen, Promi Dinner schauen, wieder schlafen, aufstehen, wieder Fernsehen, McDonald's Tüte in die Mikrowelle, essen, schlafen um fünf Uhr morgens.

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Freitag, 11. Mai 2012
Überfall
Eigentlich wollte ich ja über das letzte Wochenende keinen Text verfassen. Am Ende ist es dann doch immer dasselbe, was jeder andere auch erlebt. Bis heute aber hat mich das letzte Wochenende nicht losgelassen, denn es war das schrecklichste Wochenende meines Lebens.

Es ist wirklich alles schief gelaufen. Angefangen damit, dass mein geplantes "forget everything"-Date am Samstag nicht zustande kam. Also traf ich mich mit einem Kumpel am Kotti, trank schnell mein erstes Bier, und fuhr mehrmals U-bahn und lief auch mehrmals durch die Straßen, ohne zu wissen wohin wir gingen.

Irgendwann saßen wir dann jedenfalls in einer Bar, eine Freundin hatten wir wohl auch irgendwo aufgegriffen, denn ich hatte sie gerade verabschiedet, da geschah das nächste Missgeschick. Ich hatte mein Handy, meinem Zustand angemessen, lose in der Hand baumeln, um meinem Kumpel anzurufen, der seit längerem verschwunden war. Da stand dann auf einmal ein Türke neben mir, legte den einen Arm um mich und hielt mich ganz offensichtlich für einen Touristen, als er fragte: "Wie geht es dir mein Freund, gut?" Zu dem Zeitpunkt hatte er schon mein Handy in seiner Hand.

- "Ich will meinen Kumpel anrufen, kannst du mir bitte mein Handy zurückgeben?"
- "Alter kein Problem, lass mir, ich ruf dein Kumpel an, gib mir Nummer."
- "Ja, die steht in meinem Handy."
- "Ja ja Alter, ich weiß wie geht."

Das war dann schon sehr aggressiv aufgeladen, und spätestens als er es fertig brachte, die Nummer mit 9 "x" zwischen den Ziffern einzugeben, wusste ich dass hier etwas falsch lief.
Dann stürmte mein neuer "Freund" mit meinem Handy aus der Bar. "Ich kann hier nicht telefonieren", meinte er dazu. Innerhalb weniger als einer Sekunde musste ich also entscheiden, ob ich meine Jacke seinen wie Haie lauernden Freunden dalassen würde oder mitnahm, nahm sie mit und lief ihm nach.

Unter einem schlecht beleuchteten Hauseingang konnte ich ihm sogar mein Handy wieder aus der Hand reißen, aber im Moment der Entspannung und Beruhigung, dass alles nochmal gut gegangen sei, konnte er es mir wieder entwenden.
Dann fragte ich aus irgendeinem Grund, ob er einen Dönerladen in der Gegend kenne, und so ging es in den Dönerladen seines angeblichen Vaters, dem er beim Eintreten zunickte, wie sich Kriminelle vor der Geldübergabe zunickten, oder bevor sie ihre Geisel erschossen.

Von seinen vier Kollegen, die mich die ganze Zeit außerhalb meines Blickwinkels einkreisten, schnappte ich einzelne Wortfetzen wie "verkaufen" auf, also sagte ich ihm dann, wenn er mir was verkaufen wolle, solle er mich einfach fragen und mir mein Handy wiedergeben. Da regte er sich dann zuerst mal auf, dass ich sowas vor seinem Vater sagte, rannte auf das Klo und wollte erst meine 50 Euro einstecken und mir dann mein Handy geben.

Ich starrte in das drahtige, blasse Gesicht, in die verrückt-wilden Augen. Um den Mund tanzte ihm der Schaum der Tollwut, und mir wurde bewusst, jetzt hieß es entweder Handy, Geld, oder drei Zähne weg. Zum Glück bekam ich gegen einen frisch abgehobenen Fünfziger tatsächlich mein Handy zurück, die Spannung löste sich etwas, er hatte natürlich gutes Koks, und er sei in fünf Minuten wieder vor dem Laden.
Ich hätte warten können, aber so naiv war ich nicht, der Deal war gelaufen, er hatte sich gedacht: "Naja, HTC ist schwerer zu verticken als iPhone, also knüpf ich ihm Geld ab." Ich hatte mir gedacht: "Besser 50 Euro weg als 439 Euro Handy."
Zwei andere Typen die vorhin noch seine Kollegen waren, fragten mich dann was der wollte, und versicherten mir, was ich schon lange wusste, er hätte mich verarscht, und ich hätte was sagen sollen. Dann wollten sie mir Gras verkaufen, aber ich hatte ja kein Geld mehr, und mir dann ihre Nummer geben, aber mein Handy wollte ich nicht mehr aus der Tasche nehmen.

Aber wir wollten ja noch ausgehen, kein Problem, dachte ich mir, hebe ich eben noch etwas Geld auf. Das ging dann auch alles gut, Karte eingeben, Pin eintippen, 50 Euro auswählen, warten. Warten. Warten.. Aber da kam nichts mehr, meine Karte war verschluckt worden, ohne Grund!

Trotzdem ging es zum Club, dort versuchte ich einfach meinen ganz eindeutigen Schock fort zu tanzen und zu trinken. Dies gelang eigentlich ziemlich gut, aber für Kommunikation war ich trotzdem nicht mehr zu haben. Ich war komplett in meiner eigenen Welt, und wenn die Gedanken über die vorherigen Geschehnisse kamen, schüttelte ich einfach den Kopf bis sie weg waren.
Als dann das geilste Lied der Welt lief, das mich schon oft im pursten Rausch den Rest gegeben hatte, musste ich einfach den Dj nach dem Namen fragen. Der Abend/die Nacht hatte also doch einen halbwegs versöhnlichen Abschluss genommen.

Aus dem Club ins fahle Vormittagsgrau geworfen gab es dann aber auch wirklich kein Entkommen mehr. Da kamen dann immer diese fürchterlichen Gesichter, diese Selbstvorwürfe, dieses "Wie dumm! Wie dumm!" Natürlich, es hätte weit schlimmer sein können, ich hätte vielleicht gar nicht mehr im Stand sein können, mich zu fragen was mein Vater nur denken würde. Es hätte aber auch einfach gar nicht sein können.

Aber es war geschehen, und so hasste ich jeden Menschen, der gerade laut genug redete damit ich es hörte, jeden Mensch der lachte, diese asozialen Jugendgruppen, einfach jeden einzelnen Mensch. Und so wurde es noch röter um meine Augen, mein Ausdruck noch verbitterter, und wenn sich in der Bahn ein Kind neben mich setzte, zog es die Mutter weg.

Zu Hause angekommen googelte ich zuerst nach dem Lied. Es war das falsche! Dieser verfickte Dj hatte mir das falsche Lied gegeben, wie ging denn das?!
Dann rief ich die Notrufhotline meiner Bank an, und empfahl ihnen, mein Konto einfach direkt zu löschen, wenn sie es für nötig empfanden meine Karte einzuziehen. Der arme Hotlinetyp meinte, ich müsse zuerst einen Telefon-pin oder Tanliste bestellen, sonst könne er mir leider nicht weiderhelfen. Das tat ich dann, kurz bevor ich meine Tabliste mit Pornovideos füllte. Bis heute ist meine Karte nicht wieder angekommen.

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Dienstag, 8. Mai 2012
Einundzwanzig
Einundzwanzig, das ist ein Alter zwischen Studiumsende und Start ins Berufsleben, ein Alter zwischen Single-Leben und Leben mit Frau und Kind. Einundzwanzig, das ist ein Alter zwischen alten Freunden und neuen Bekanntschaften, ein Alter zwischen alter Last und neuen Möglichkeiten. Einundzwanzig, das ist ein Alter, nicht ganz Vergangenheit, aber auch nicht ganz Zukunft.

Einundzwanzig werden, das bedeutet für mich: Allein ins Berghain. Um 00:00 steige ich in die Tram, um 00:15 hebe ich massenweise Geld ab, um 00:30 kaufe ich mir ein Bier am Ostbahnhof, kurz danach stehe ich in der Schlange. In jeder Klubschlange würde ich mich alleine auch so fühlen, aber im Berghain weiß ich, dass die zehn Jungs vom Dorf nicht reinkommen werden, die französische Reisegruppe auch nicht, die Engländer, die lauthals prahlen "I'm gonna destroy this club!" schon gar nicht. Trotzdem werden wieder mehrere Leute nach Hause geschickt, die ich reingelassen hätte, oder die zumindest besser aussehen als ich. Deshalb: nervöses Fummeln und Ziehen an Jacke, Hemd und Haaren. Schließlich der stramme Blick und das ehrfurchtsvolle Nicken in drei leere Gesichter. Der Erste: Jo. Der Zweite: Ok. Der Dritte: - - . Drin.

Natürlich ist so früh am Abend noch nichts los, deshalb trinke ich erst einmal einen mit Fanis. Fanis stand in der Schlange hinter/neben mir und arbeitet für eine ONG. ich erzähle ihm (stolz), dass in Luxemburg nur 3 Leute Kony stoppen wollten, er raucht einen Joint, die Schaukel schaukelt, erster Rundgang auf den Toiletten. Dann tanzen, neben einer Gruppe college girls, die ja wohl irgendwie anders reingekommen sind oder um 3 nach Hause geschickt werden. Dann und wann zuckt ein Strobo durch den Raum, es ist noch sehr hell, die Musik rumpelt und springt: Das ist noch alles sehr halbherzig. Deshalb gehe ich erstmal hoch zur Panorama Bar und gönne mir einen viel zu starken Cuba Libre, drehe ein paar Runden über die Tanzfläche und lasse mich am Fenster auf der Heizung nieder, zwischen den Klokabinen.

In der nächsten Stunde rede ich in 5 verschieden Sprachen Menschen an oder werde angesprochen. Dann, endlich: ein italienisches Paar lacht und stolpert herein, setzt sich neben mich. Wir sind sofort im Gespräch. Namen werden ausgetauscht, Sympathien. Dann: haben, wollen, Tür zu, Hand auf, ein Blick, ein Tausch, eine letzte Frage, ein Schulterklopfen und wieder raus. Sicherheitshalber die Nummer einspeichern, noch etwas abwarten, dann Tanzen gehen mit der Freundin des Italieners, Wasser holen, wieder tanzen, wieder Wasser, auf dem Klo hängen bleiben. Wahllose Gespräche mit wahllosen Leuten.

Irgendwann schleppe ich ein Mädchen runter ins Berghain, oder sie mich. Sie findet Gesaffelstein heiß, ich wiege ab. Trotzdem stellen wir uns ganz nach vorn, etwas links, in der Mitte, oder doch rechts? Nein rechts auf keinen Fall. Die Orientierungspunkte verschwimmen, alles ist nur noch Nebel und Rauch, elektronische Klänge brechen aus den Boxen aus, schießen unter die Decke und wieder hinab und erfüllen den ganzen Raum.

Meine einzige Erinnerung an die nächsten 2 Stunden wird eine Notiz in meinem Handy sein von 5 Uhr 25: "Ist das schon Gesaffelstein? Siehst du ihn?" - Verfasser unbekannt.

Gegen 8 Uhr finde ich mich dann wieder, wie ich in der Panorama Bar in einer Ledercouch hänge und hoffe, dass der Bass mir jedes Übel aus dem Magen vibriert. Mir wird immer heißer, mein ganzer Körper schwitzt und glüht, mein Herz schlägt immer rasanter, meine Finger tippen verzweifelte Textnachrichten in mein Mobiltelefon. Immer wieder fühle ich mich besser und will weitertanzen, aber mit dem Aufstehen kommt die Übelkeit zurück. Schließlich bleibt mir keine Wahl: Ich muss kotzen. So hänge ich wieder einmal auf dem Klo rum, aber diesmal schuldig, verängstigt, eingeschüchtert, zitternd. In der Kabine versuche ich zuerst im Stehen zu würgen, dann beuge ich mich über die mit Scheiße und Graffiti verschmierte Kloschüssel. Würgen ins Leere. Tränen in den Augen. Dann geht die Tür auf: der Italiener. Schnell weg hier.

Um 9 dann wieder tanzen, irgendwie geht es wieder, das ist das Gute am Schwitzen. Da kommt dann eine zweite Luft, eine neue Energie. Da wird dann wieder hemmungslos gelacht, mit wildfremden Leuten geredet. Verzeihung, ich weiß es ging mir schlecht, aber ich muss noch mal nachhelfen, das ist das Berghain, und ich gehe nicht, bis diesen Raum nichts anderes mehr füllt als Tageslicht.

Und das passiert leider viel zu früh, am Ende hänge ich in der Luft mit den Jalousien, die ganz langsam hochgefahren werden. Ich sehe den Italiener noch, aber sonst ist jeder verschwunden, der Grieche vom Anfang, die Freundin des Italieners, die Kleine mit der ich zu Gesaffelstein war, war da nicht noch die Süße, die mich irgendwann "gedrückt" hat? Aber jetzt sind sie alle verschwunden, es ist nur noch ein suchendes Kopfedrehen, ein letzter Tanzschritt, ein letztes Klatschen, volle Sonne: Das letzte Lied. Dann schleiche ich an den Türstehern vorbei in die viel zu warme Nachmittagssonne. Ich will mich verabschieden, aus meinem Hals kommt aber nichts als ein stummes Murksen, also nicke ich. In dem Moment fühle ich mich sehr klein.

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